Zeit und Geld

Die Lebenszeit eines jeden Menschen ist beschränkt. Dies ist ein Fakt der Realität und die Grundlage für die Entstehung von Geld. Menschen scheinen die einzigen Lebewesen auf der Erde zu sein, die ein Bewusstsein haben, welches den Fakt der eigenen Sterblichkeit durch einen Gedanken über die Zukunft erfassen kann.

Die Aufgabe von Geld liegt darin, Zeit untereinander tauschen zu können. Man führt eine Tätigkeit aus, bekommt Geld dafür und kauft sich davon die Ergebnisse von Tätigkeiten, die durch andere ausgeführt wurden. Je wertvoller eine Tätigkeit für die Gemeinschaft ist, umso mehr Geld pro Zeiteinheit entsteht aus ihr.

Natürlich bedeutet „Geld“ in dieser reinen Betrachtung einen Wert, für den man sich die Zeit der anderen kaufen, also eintauschen kann. Fehlen die Eintauschmöglichkeiten, ist das Geld nichts wert und kein „Geld“ mehr im Sinne dieser Betrachtung.

Die einzige Bedingung an die Erscheinungsform des Geldes ist, dass es wie die Lebenszeit auch nur begrenzt verfügbar ist. Sobald Geld durch mathematische Zeichen wie Zahlen abgebildet wird, muss es privat oder gesellschaftlich überwacht werden, da seine wesentliche Eigenschaft nicht natürlich-real ist, wie etwa die Menge von bestimmten Edelsteinen oder Muscheln, die einer Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Die Gesellschaft ist praktisch in den Händen der Überwacher des Zahlen-Geldes.

Der Exkurs zum Geld soll nur zeigen: Zeit ist etwas, das überall auf der Welt grundsätzlich etwas Wichtiges ist. Der biblische Satz, die Menschen müssten im Schweiße ihres Angesichts für ihr Überleben schuften, meint dasselbe: Die Nutzung der Lebenszeit muss in einem existenziell-pragmatischen Sinne geschehen und nicht nur durch Bequemlichkeit. Gleichzeitig wird auch auf zwei verschiedene Arten der Zeitnutzung hingewiesen: die Arbeit und die Freizeit.

Bei praktisch allen Raubtieren gibt es diese klare Trennung, alle Raubtiere müssen „im Schweiße ihres Angesichts“ für ihr Überleben schuften.

Man kann einen Blick auf die Löwen werfen, die echten, nicht die zuvor erwähnten metaphorischen. Die Löwen liegen meistens bräsig rum und sind bequem. Die Kleinen spielen, die Großen lausen sich, pflegen das Fell und paaren sich, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

Dann kommt der Hunger und so gehen so viele der möglichst schwachen Löwen, vorwiegend Löwinnen und junge Löwen jagen, erlegen so viel Wild, dass es für alle reicht. Die Stärksten kommen und fressen sich voll, dann folgen alle anderen, der Stärke nach.

Das ist biologisch gesehen absolut nachvollziehbar. Die stärksten Tiere halten Ordnung aufrecht und wehren Gefahren vom Rudel ab. Sich bei der Futterbeschaffung zu verletzen oder zu wenig Futter abzubekommen würde das ganze Rudel gefährden. Würden die schwächeren Teile nicht ausreichen, genug Futter zu beschaffen, würden die stärkeren auch mitmachen, Futter ist das Wichtigste.

Das Leben der Löwen ist ziemlich einfach, vergleicht man es mit dem eines Menschen in der Zivilisation, das „Gottesprinzip“ ist aber das gleiche: Wir haben einen Teil unseres Lebens, in dem bekommen wir Geld für unsere Zeit, das ist die Zeit der Jagd und einen Teil, da bekommen wir kein Geld für unsere Zeit, das ist die Zeit der Bequemlichkeit.

Die Löwen wissen nicht, dass sie sterben werden. Sie wissen, dass sie sich verletzen können. Davor haben sie Angst, sie achten darauf, dass es nicht passiert. Aus ihrem Löwesein spüren sie, dass der Aufteilung der Tiere, welche jagen und Tiere, die einen wesentlichen Teil ihres Lebens bequem verbringen, natürlich optimal ist.

Kein Löwenweibchen wird es für unfair halten, dass es nicht nur Kinder gebären muss, sondern auch jagen und sich potentiell verletzen könnte, während das Pascha-Alpha-Männchen einfach nur da ist, hin und wieder brüllt und ansonsten immer die besten Stücke der Beute erhält, ohne etwas dafür zu tun. Es hat etwas getan, es hat sich in Kämpfen durchgesetzt und manchmal muss es sich auch weiterhin durchsetzen – oder es hat ein Leben in Einsamkeit oder das Leben selbst hinter sich.

Würden die Löwen Geld haben, was sie nicht haben, weil sie es nicht brauchen, so wären die Löwenkämpfe um das Alpha-Männchen, Kämpfe um die Verwaltung des Rudelgeldes. Wer es besitzt, besitzt den Gegenwert für alle Zeit aller anderen Rudeltiere.

Auch sehr einfache menschliche Gemeinschaften kommen ohne Tauschmittel aus, jedoch sind Tauschmittel aus prähistorischen Zeiten bekannt und ihre Verwendung ist nachvollziehbar, da menschliche Gesellschaften, auch einfache, wesentlich komplexer in ihrer Zeitnutzung sind als Rudel von Raubtieren. Das gilt ganz besonders dann, wenn Gemeinschaften auch noch mit anderen Gemeinschaften Kontakt und regelmäßigen positiven Austausch haben können. „Geld“ kann dabei alles sein, was „Arbeitszeit“ repräsentiert: Felle, Lebensmittel, Waffen und Werkzeuge aller Art. Oder anerkannte Zeit-Tauschgegenstände, Edelsteine und Edelmetalle, die ihrem Ursprung nach durch den Menschen verflüssigbare, weiche und formbare Edelsteine sind.

Eine Gemeinschaft von 20 Menschen, die für sich und ohne Kontakt zur Außenwelt leben würden, bräuchte sicherlich kein Geld. Eine Gemeinschaft von 1000 Menschen wird schwerlich ohne einen Zeitaustausch-Wert funktionieren können und wird sich irgendein Geld erschaffen. Geld ist ein Werkzeug, um Zeit zwischen Menschen austauschen zu können, welches ab dem Moment notwendig und benutzt wird, wenn der Einzelne den „Wert“ der Zeit der Anderen nicht mehr zuverlässig und schnell für alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft einschätzen kann.

Nur ausgewachsene nL wollen das Werkzeug „Geld“ abschaffen, denn es entspricht, wie ich noch ausführen werde, ihrem psychischen Schaden: Das Geld stellt die Zeit des Anderen dar. Wer diese nicht respektiert, nicht einmal wahrnimmt, der versteht den Sinn von Geld auch nicht.

Ob Papiergeld, Hartgeld, Bitcoins oder was auch immer ein „gutes Geld“ im Sinne der Betrachtung hier sein könnte, will ich nicht diskutieren. Ich schreibe über den ureigenen Sinn von Geld als Werkzeug zum Zeitaustausch – und jeder in einer Gemeinschaft braucht „die Zeit des Anderen“.